Es gab eine Zeit, da hofierte der gemeine Mann noch die Dame seiner Wahl, und als Zeichen des nahenden Erfolgs galt ihm das von ihr fallengelassene Taschentuch. Fallengelassen nicht etwa zufällig, sondern mit Berechnung, in einem Moment, da er dessen auch sicher gewahr sein musste. Fallengelassen, auf daß er es aufhebe und als Trophäe behielte. Heute ist das anders; Tempo und Kleenex haben dieser hübschen Sitte den Todesstoß versetzt – wer sammelte schon Papiertaschentücher? Unbenutzt sind sie anonyme Massenware, gebraucht sind sie zwar äußerst individuell, aber leider auch sehr eklig. Weil aber unsere Paarungsriten seit Jahrhunderten angelerntes Kulturgut sind, kann man das Taschentuch nicht einfach in den Mülleimer der Geschichte werfen, man muß Ersatz schaffen.
Als Ersatz bietet sich, wie ich finde, auf den ersten Blick die Handynummer an, denn sie ist ähnlich individuell und gut zu hüten wie einst das Taschentuch, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Im weiteren Verlauf des Rituals ist sie praktisch nutzbar, wohingegen das Taschentuch nur von sentimentalem Wert ist. Unproblematisch ist die Handynummer allerdings auch wieder nicht. So habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, Bekanntschaften, die ich zu später Stunde im dazugehörigen Zustand auftue, immer nur meine Nummer zu geben, aber nie nach den ihren zu fragen. Dann nämlich entgeht man leichter den eher unhübschen Erfahrungen mit „sms von gestern Nacht“ und ähnlichem. Aber selbst, wenn sich solche Fallstricke mit etwas Vorsicht und Zurückhaltung vermeiden lassen, bleibt die Angelegenheit schwierig, denn die Behandlung der eigenen Handynummer läuft von Seiten der Weiblichkeit höchst uneinheitlich:
Es gibt erstens Frauen, die gar nichts dabei finden, ihre Nummernherauszugeben. Es gibt zweitens Frauen, die einem ihre Nummer aufdrängen. Es gibt drittens Frauen, die ihre Handynummer so stilsicher weitergeben, als wäre sie das gute, alte Taschentuch. Es gibt viertens Frauen, die sich zwar nicht stilvollendet zu verhalten wissen, sondern sogar über die Maßen direkt vorgehen – das aber machen sie mit einem entzückend unverstellten Charme. Und fünftens gibt es Frauen, die hüten ihre Handynummer wie ein arabischer Patriarch den Hymen seiner Tochter. Da soll sich dann einer auskennen!
Eine Kellnerin meines Stammcafés fragte ich einmal, gerade als ich die Rechnung bestellt hatte, ob man sich außerhalb des Cafés treffen könne. Sie sagte darauf gar nichts, drehte sich sofort um und entschwand flotten Schrittes. Etwas später kehrte sie mit der Rechnung zurück, und sie sagte noch immer nichts. Ich zahlte, deutlich geknickt von der offensichtlichen Schlappe. Dann stand ich auf, packte meine Sachen, wollte gehen – die Kellnerin aber sprach endlich zu mir: Die Rechnung würde ich an deiner Stelle aufheben. Sie gehörte eindeutig der dritten Kategorie an.
Kategorie Nr. 4 hingegen geht so: Ich feierte Geburtstag und lud zu diesem Zwecke auch einen Freund ein, der eine Bekannte hat, die gerne mitgekommen wäre. Er gab ihr meine Nummer, sie rief mich an und fragte, ob sie ihn begleiten dürfe. So hatte ich ihre Nummer, und ich behielt sie. Einige Wochen gingen ins Land, ihr Geburtstag zog herauf, ich erinnerte mich ihrer Nummer und gratulierte ihr per sms. Am nächsten Tag bekam ich Antwort: „Joachim! Wie entzückend von dir, an mich zu denken! Und meine Handynummer hast du auch noch. Warum benutzt du die eigentlich nie?“ Das fand ich dann so charmant, daß ich die sms bis heute auswendig kann.
Zur fünften Kategorie gäbe es auch noch einiges zu sagen, aber ich verzichte darauf, denn wer weiß schon, was das Morgen bringt? Und wer weiß, wie er das Morgen durch heutiges Geschwätz beeinflusst?
Insgesamt aber gibt die Gemengelage nicht viel her, ein irgendwie schlüssiges Bild lässt sich nicht zeichnen, die Theorie des kommunikativen Aktes der Handynummernweitergabe steckt noch in den Kinderschuhen. Und ich muß weiter bitten und bestechen…
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